Ein Wort zum Üben

Ein Wort zum Üben

"Was soll ich zuhause tun?“

oder

Das „Üben-Lernen“



Das „Üben-Lernen“ steht in meinem Unterricht an prominenter Stelle, denn ich möchte, dass meine Schüler und Schülerinnen das Handwerkszeug erhalten, mit dem sie Schritt für Schritt lernen, immer selbständiger an Musik heranzugehen, diese immer eigenständiger umzusetzen und zu gestalten und ja, auch zu einem eigenen Verständnis der Musik zu gelangen.

Ausgehend von den Erfahrungen meiner eigenen Übe- und Unterrichtspraxis fasse ich im Folgenden den Lern- bzw. Aneignungsprozess beim Üben zusammen, wie ich ihn selbst erlebe und im Unterricht mit meinen Schülern und Schülerinnen durchspiele. Ich "übe das Üben" mit meinen Anfängern und Anfängerinnen in der Stunde immer wieder, damit sie zuhause das entsprechende Handwerkszeug parat haben. Wenn Sie ein erwachsener oder erfahrener Klavierspieler sind, mag Sie das Folgende in Ihrer eigenen Übepraxis vielleicht unterstützen oder anregen. Schreiben Sie mir gern - ich bin neugierig auf Ihre eigenen Erfahrungen!


Erzählen Sie mir von Ihren Erfahrungen

Lern- und Aneignungsprozesse beim Üben



Intuitive Phase


Ich arbeite immer zuerst an der musikalischen Vorstellung: Auch wenn ich ein Stück technisch noch nicht beherrsche: Gerade wenn das Stück neu ist, ist der emotionelle Eindruck am stärksten. Ich fange ihn gleich ein und strebe vor allem anderen die Umsetzung des musikalischen Inhalts an!


Jetzt arbeite ich an der musikalischen Gestaltung: Ausgehend von den Vorgaben im Notentext spiele und probiere ich verschiedene Möglichkeiten und deren musikalische Wirkung auf mich durch und entscheide mich dann für eine Variante.


Praktische Phase


Erst jetzt geht es um die technische Realisierbarkeit des musikalischen Gehalts. Wie kann ich die musikalischen Ideen, die ich zum Ausdruck bringen will, technisch umsetzen?


Pointing and calling („Zeigen und benennen“)

Ich entscheide bewusst, was ich üben will. Nicht immer wieder das ganze Stück wiederholen! Ich reduziere mittels verschiedener Methoden die Komplexität der Probleme, indem ich beispielsweise in Portionen aufteile und mich dann bewusst für ein technisches Problem entscheide („pointing“), an welchem ich arbeiten will: „Genau das übe ich jetzt“ („Calling“)


Überprüfungsphase


Sich selbst zuhören: Klingt das wirklich gut?

Ich höre mir auch beim technischen Üben immer zu: Hat das einen Spannungsbogen, entspricht das dem Notentext, halte ich das Tempo, setze ich die dynamischen Vorgaben um, hat das eine innere Logik, und nicht zuletzt: Gefällt mir das und berührt es mich?


Wir üben mit allen Sinnen und legen bei jedem Durchgang den Fokus auf etwas anderes:


  • Sehen: Umsetzung des Notentexts, der dynamischen Vorschriften, Melodiebögen, Artikulation
  • Hören: Klangqualität, Klangfarben, Dynamische Bandbreite
  • Tun: Rhythmus, Metrum, Bewegungsabläufe, Artikulation, Anschlag


Neuer Text


  • Ich übe zunächst nicht "den Notentext", sondern meine Vorstellung vom Stück, d.h. ich erarbeite eine musikalische Gestalt, welche ausgehend vom Notentext entsteht. Ich arbeite zuallererst an meiner musikalischen Vorstellungs- und Gestaltungskraft.


  • Dann „teste“ ich meine Vorstellung vom Stück an der klanglichen Realität


  • Ich taste mich hörend und spielend voran


  • Ich taste eine mögliche musikalische Gestalt ab


  • Ich übe langsam und leise. Bin ich laut, mechanisch und trampelig, zerstöre ich Möglichkeiten. Üben heißt vorsichtig hineinhorchen.


  • Wenn ich rein technisch übe, geht mir die im musikalischen Text enthaltene Empfindung verloren. Das Aufteilen in technisches und musikalisches Üben funktioniert nicht.
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